Reisetagebuch

Unser verstorbener Pastor Klaus Hanke legte fest, dass bei seiner Trauerfeier eine Kollekte zu sammeln sei, die zur Hälfte für die Partnergemeinde St. Johannis (Järva Jaani) in Estland bestimmt ist. St. Johannis wiederum ist die Partnergemeinde der Straupitzer Partnergemeinde St. Tönis. Diese Partnerschaft beruht darauf, dass eines der dortigen Gemeindeglieder vor dem Krieg in St. Johannis aufgewachsen ist. Vielleicht ein wenig kompliziert, aber die Kollekte wurde gesammelt und sollte nun, dem Wunsch des Verstorbenen entsprechend, die Empfänger im Baltikum erreichen. 

Bisher gab es bis auf einzelne kurze Telefonate keine persönlichen Kontakte nach St. Johannis, dafür aber eine tiefe Verbundenheit der Pastoren Hanke (Vater Klaus und Sohn Christoph) ins Baltikum. So wurde also der Gedanke geboren, die Spende persönlich abzugeben - die Reisefreiheit der EU und die guten Straßen sollten es ermöglichen. Straßen? Wer den Straupitzer Pastor kennt, weiß, dass Fliegen nicht infrage kommt - Wie sollte der Reisende sonst Land und Leute kennen lernen und die Schönheit der Landschaft erfahren (sic!) können? Und ausserdem: Machen Sie mal mit dem Flieger einen flinken Abstecher rechts oder links der Route, weil es Wichtiges zu entdecken gibt!

Kurz entschlossen fand sich eine kleine Reisegruppe, bestehend aus Pfarrer Christoph Hanke, seiner Schwester und dem Verfasser dieser Zeilen, zusammen, dazu das seit langer Zeit erfreulich klaglos diensttuende Familienauto (Allradantrieb, wir müssen noch darauf zurückkommen!), ein paar Reisetaschen, Schlafsäcke, "Freßpakete", Landkarten und Reiseführer. Eine letzte Kontrolle, ob auch Ausweispapiere, einige Euro und Zloty an Bord waren, dann konnte es am Sonntag, 26. März 2017, nach dem Gottesdienst gegen Mittag losgehen, am Steuer des Wagens der Pfarrer (Er sollte es auch für die ganze Fahrt nicht aus der Hand geben, da die Reise entspannt werden sollte.)

Reiseroute Tag 1
Kartendaten (c) 2017 GeoBasis-DE/BKG, ((c) 2009), Google

Mit dem Tagesziel der polnisch-litauischen Grenze wechselten wir über die Oder nach Polen, die Karten und das Navi konnten in der Seitentasche bleiben, da der Fahrer/Pfarrer den Weg kennt. Als bis Warschau der Plan eingehalten wurde und wir uns einer problemlosen Fahrt erfreuen konnten, befragte im heimischen Straupitz die Ehefrau des Pfarrers das Internet, um eine geeignete Bleibe für die Nacht zu finden. Es sollte Suwalki, ein kleines Städtchen in der Nähe der Grenze, werden. Das kleine Hotel war dann schnell gefunden, Zimmer waren noch zu haben und auch ein Abendessen wurde uns zubreitet. Dann kurz Kontakt mit der noch in Israel befindlichen Pastorin Melder (St. Johannis) aufgenommen und das Treffen für den kommenden Abend vereinbart. Zum Abschluß des Tages ein abendlicher Spaziergang durch das Zentrum Suwalkis, inzwischen Helsinki oder St. Petersburg fast näher als dem heimatlichen Spreewald. 

 
Kartendaten (c) 2017 GeoBasis-DE/BKG, ((c) 2009), Google

Der Montagmorgen sah uns früh aufbrechen, das abendliche Ziel war Järva-Jaani. Zwischenziele waren mit Riga und Dorpat/Tarku grob gesetzt, alles andere sollte sich ergeben. Der Grenzübertritt Polen-Litauen war erfreulich beiläufig, wo doch ein Blick auf die geopolitische Landkarte zeigt, dass eben hier "Suwalki-Gap" liegt, die Stelle, über die die politische Enklave Königsberg auf dem Landweg zu erreichen ist. Ansonsten konnten wir jetzt wieder mit Euro zahlen, verstanden aber die Sprache noch weniger. Der Verkehr war reger, da das Baltikum auf diesem Weg an Europa angebunden ist, die Zahl der zu überholenden LKW war entsprechend. Riga war gegen Mittag erreicht, die Zeit reichte für einen kleinen Spaziergang und einen Mittagsimbiß. Die Stadt ebenso beeindruckend wie die Düna, an deren Ufer wir entlang fuhren. Wie so häufig auf unseren Fahrten: Ein erster Eindruck mit dem Ziel, in näherer Zukunft für einen ausführlicheren Besuch wieder zu kommen! Hier in Riga sahen wir die ersten Schneereste des bei uns bereits vergangenen Winters, die Seen, die wir nun sehen sollten, waren ebenfalls noch überfroren. wir waren eben deutlich weiter im Norden und im Bereich des russischen Festlandsklimas! 

Nächstes Ziel war der Zeltplatz bei Wenden. Wenden...? Konfirmanden und Junge Gemeinde werden jetzt sagen: Ach ja! Hier auf dem Wasser der livländischen Gauja sind wir doch mit dem Paddelboot unterwegs! Und zur Vorbereitung der Fahrt 2017 diente unser kleiner Abstecher. (Es sei erwähnt, dass diese Vorbereitung schon am Vormittag in einem Supermarkt am Wege begonnen hatte: Einige Dosen des bei den Betreuern am Ende eines Abends so beliebten "Memelbräu" wurde als Mitbringsel auch dieser Fahrt erworben und und im Kofferraum verstaut.)

Aber unser nächstes Ziel war das in Estland liegende Dorpat/Tarku. Der Grenzübertritt war üblich unspektakulär, nochmals wurde die Sprache unverständlicher. In Dorpat angekommen offenbarte ein Blick in den Rückspiegel Überraschendes: Uns folgte ein Auto mit dem Kennzeichen unseres Landkreises LDS durch die sprichwörtliche halbe Stadt! Europa scheint doch ein wenig enger zusammenzuhängen, als meist vermutet. Bis zur berühmten Universität von Dorpat folgte der Wagen jedoch nicht. Wir nahmen uns die Zeit für eine kurze Stippvisite und konnten einige Takte den Klängen des wirklich guten Chores lauschen. Doch nun drängte die Zeit, es waren noch etwa 100 Kilometer bis zu unserem eigentlichen Ziel und das Abendessen war vorbereitet. Nun kam erstmals das Navi zum Einsatz und wir fuhren wir in den herrlichen Sonnenuntergang. Pünktlich auf den Glockenschlag erreichten wir das Ziel unserer Fahrt, das Pastorat St. Johannis. 


Kartendaten (c) 2017 GeoBasis-DE/BKG, ((c) 2009), Google, Foto Memelbräu: Arūnas Petraitis

Im Pastorat, der baltischen Version eines Pfarrhauses, wurden wir von Pastorin Melder und ihrer Mutter herzlich empfangen. Wir bezogen die zweckmäßig schlichten Gästezimmer im Obergeschoß des Hauses und wurden an den liebevoll gedeckten Abendbrottisch gebeten. Zu unserer Schande sei gesagt, dass Frau Melder ein hervorragendes Deutsch spricht, während unser Estnisch erst bei Tisch aus den grundlegendsten Vokabeln wie "Hallo-Tere", "Ja-ja" (das war einfach!), "nein-ei", "danke-aitäh" und "bitte-palun" aufgebaut wurde. Man stellte sich vor und lernte sich gegenseitig ein wenig kennen. Es wurde ein Plan für den kommenden Tag gemacht und dann verlangten schon die Betten nach uns. 

War es wirklich schon/erst Dienstag, als wir morgens zur benachbarten Kirche aufbrachen? Frau Pastorin Melder zeigte uns das alte Gotteshaus, dessen Dach zur Hälfte neu gedeckt war, dessen zweite Hälfte aber noch dringend saniert werden muss. Zu dieser Hälfte gehört die marode Sakristei, die in eine Winterkirche umgewandelt werden soll. Hier kann die Spende aus der Trauerfeier von Pastor Klaus Hanke den willkommenen Grundstock für den Eigenanteil der Finanzierung bilden. Im Gespräch ergab sich der Ansatz: "Mit Bedacht aber ohne unnütze Bedenken, Tun statt Abwarten". So schafft es die kleine eigenständige Gemeinde, das Gehalt der Pastorin aus eigener Kraft zu finanzieren und mit ein wenig Hilfe auch die Gebäude instand zu setzen. Denn auch in Estland ist es so, dass die breite Basis einer Gemeinde ausdünnt und immer weniger Menschen mit Gottes Hilfe die gesamte Last tragen müssen. Wir bekamen dies nach dem Frühstück bei einem zufällig stattfindenden Treffen eines Gemeindekreises zu spüren. Die anwesenden Damen hatten doch schon einige Lebenserfahrung und sprachen daher häufig auch noch Deutsch. Die kleine Andacht war dann doch eher zweisprachig mit der Pastorin als Dolmetscherin. Es war ein warmer Empfang der überraschenden Gäste aus Deutschland, menschlich warm und auch physisch - die Besucher wussten die Wärme der zimmerhohen Öfen in den Räumen sehr zu schätzen. Eiskalt war dafür der frische Ahornsaft, der neben Kaffee und Gebäck zur Stärkung gereicht wurde. Es ergaben sich dann auch noch kleine Gespräche, als Gastgeber und Gäste die jeweils vorhandenen Russischkenntnisse hervorkramten. So schied man dann bald voneinander mit Absicht, den Kontakt aufrecht zu erhalten. Bevor wir uns aber wieder auf den Weg machen, hier einige Eindrücke von Järva-Jaani:

Ernte des Ahornsaftes

Gegen 11:00 Uhr ging es für uns auf die Rückfahrt, Tageziel Ostpreußen, möglichst Posorten, so weit im Westen, wie an diesem Tage erreichbar. Fahrtroute: Am Ufer der Ostsee entlang, die russische Enklave Königsberg aber vermeidend. Wie auch am Vortag sehen wir herrliche Landschaften, bewunderten den hohen Himmel und konnten mehr als nur manchen Schnipsel Bildung und Geschichte auflesen. Die Grenzübergänge waren wieder sehr unauffällig, die agilen LKW-Fahrer verursachten so einige interessante Fahrmanöver - aber auch an diesem Tag glitten die Kilometer nur so unter unseren Reifen durch. Bis dann am Nachmittag die Rede von einem Stau war, der sich nicht umfahren lassen sollte. Das war ärgerlich und brachte unser Tagesziel in Gefahr. Aber gab es da am Stauende nicht einen Waldweg in die richtige Richtung? Nun, er sah ganz befahrbar aus, also wagen wir den Versuch. Der Weg war gut passierbar, was den Pfarrer zur Vermutung brachte, dass er möglicherweise am "guten Ende" womöglich durch eine Schranke gesperrt sein könnte. Kaum ausgesprochen kam diese Schranke dann auch schon in Sicht. Die Schranke natürlich verschlossen. Zurückfahren? Oder Mut zum Risiko und Vertrauen zum Allradantrieb des in Förstersdiensten aufgewachsenen Wagens? Dieser enttäuschte nicht und nahm die kurze Umfahrung mit Bravour. Eher waren die nachfolgenden Landstraßen für das Fahrwerk eine kleine Herausforderung. Es wurde so langsam dunkel und Allenstein lag schon hinter uns, als wir das anvisierte Hotel endlich telefonisch erreichten. Leider wegen Renovierung geschlossen. Also musste ein Plan B in kurzer Zeit gefunden werden: Osterode am Drewenzsee in Ostpreussen, dort ein wahrlich komfortables Hotel mit allen Annehmlichkeiten. Einziger Wermutstropfen: Wir konnten es nicht auskosten, wir wollten am kommenden Morgen sehr früh - noch vor dem Frühstück - los! (Die Dritte im Bunde hatte am Mittag in ihrem Heimatdorf im Oderbruch einen Pressertermin, den sie keinesfalls verpassen sollte.) 

 

So ging es denn, jeder ein Lunchpaket in der Hand, noch vor Sonnenaufgang im dichten Nebel weiter gen Westen. Im Laufe des Vormittags dann der kurze Halt in Gnesen. Der Dom und die berühmte Bronzetür wurden besichtigt, eine kurze Einführung in die Gründung des polnischen Staates, dann die letzten "Freßpakete" geplündert und schon ging es weiter in die letzte Etappe unserer Fahrt. Ohne jedes Problem erreichten wir auf der Autobahn die Oder und Deutschland. Der Pressetermin konnte pünktlich stattfinden. Wir sahen uns verwundert an: Sind wir wirklich erst Sonntag Mittag ins Auto gestiegen und losgefahren? Wir hatten in den letzten gut 72 Stunden so viel gesehen und erlebt, dass gefühlt eine wesentlich längere Zeit vergangen sein zu schien. Gott hat seine Hand schützend über uns gehalten und wir haben Menschen und Orte kennen gelernt, die wir noch einmal besuchen wollen. Herzlichen Dank, Kirchengemeinde St. Johannis! Und Pastor Klaus Hanke erweist sich auch nach seinem Tod als der Brückenbauer, der er schon zu Lebzeiten war. Ruhen Sie sanft und in Frieden!